aufgabe 8 :: geschichte im netz

Textzusammenfassung und -kritik
Wolfgang Schmale, Geschichte im Netz – Praxis, Chancen, Visionen

Ausgehend von der Praxis geschichtswissenschaftlicher Forschung im Netz setzt sich der Text in weiterer Folge mit deren Chancen und Visionen auseinander. Gegen die hypothetische Negativfolie Verluste und Untergang gesetzt, dominiert der positive Zugang, das Aufdecken von Möglichkeiten, die vom Medium mitindizierte begrüßenswerte Veränderung der Herangehensweise an Historie.

Praxis: Im Moment scheinen noch ein Großteil der im Internet zugänglichen, im weitesten Sinne historischen Seiten Produkte interessierter Laien zu sein – keinesfalls sind diese generell als minderwertig zu belächeln – dennoch ist eine kritische Herangehensweise von Nöten – nicht nur in Bezug auf offen rechtsextreme Seiten, sondern auch auf eine Reihe anderer Ressourcen, die zwar scheinbar objektive Primärquellen zur Verfügung stellen, diese jedoch keiner akkuraten Quellenkritik, Einordnung und Hinterfragung unterziehen. (Computerspiele, ‚Internetauftritte’ zu offiziellen Feier/Gedenktagen …)
Ebenfalls zur Praxis zählt der Prozess der Systemmodifikation – ein Prozess der in beide Richtungen (die Geschichte im Netzt modifiziert die Geschichte als institutionalisierte, auf dem gedruckten Wort basierende Wissenschaft und vice versa) abläuft. Diese Remediation nimmt bestimmte Formen an:
  • proto-hypertextuelle Techniken werden von Büchern übernommen, die damit vom bekannten linearen Textformat abrücken.
  • andererseits wirkt die klassische Geschichtserzählung auf viele Internetauftritte, die meist nicht mehr als die Publikation diverser Texte darstellen.
  • Das vom Medium verlangte kürzere, modulierte, an den Enden offene, auf verschiedenste Weisen verknüpfbare Schreibformat wird zu einem Ideal, dem auch manch ‚klassische’ Texte zu folgen versuchen.
  • Die vom Netz forcierte Schnelllebigkeit der wissenschaftlichen Veröffentlichungen führt zu einem neuen Blick auf Wissensproduktion. Ergebnisse werden mehr und mehr als jederzeit wieder veränderbarer Diskussionsstand begriffen – Prozesse werden offener, das Ziel der großen Meistererzählung immer weniger erstrebenswert. Für KritikerInnen die Ursache immer unausgereifterer Argumente, die einer Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, ist das Netz für BefürworterInnen Mittel, um zu einem demokratischerem Umgang mit Geschichts(darstellung) zu finden.
Prinzipiell lässt sich dennoch die Tendenz beobachten die selben Inhalte in beiden Medien zu veröffentlichen, da sie zwar aufeinander angewiesen sind, gleichzeitig aber ganz spezifische, nur ihnen eigene Qualitäten aufweisen.

Chancen beziehen sich auf die Wandlungen, die das institutionalisierte Wissenschaftssystem durch das Aufkommen des Internets durchläuft.
  • Die Beschleunigung der Kommunikation und Rezeption führt in vielen Fällen zu der bereits erwähnten unwissenschaftlichen Datenaufbereitung, die für viele HistorikerInnen einen mehr als vorsichtigen Zugang zum neuen Medium nach sich gezogen hat. Noch ist Veröffentlichen im Internet zu keiner vollends respektablen Handlung geworden, noch passieren die wichtigsten Forschungsanstöße nicht im Netz.
  • Historische Seiten haben zumindest potentiell die Möglichkeit, Wissen an einen größeren Teil der Bevölkerung zu vermitteln, als die traditionelle (universitäre) Forschung. Auch wenn sich die RezipientInnengruppen im Moment nicht unterscheiden, besteht die Chance, von breiteren Schichten wahrgenommen zu werden und größeren gesellschaftlichen Einfluss auszuüben. Gleichzeitig resultiert daraus die Anpassung der Forschungsthemen an Fragen der Relevanz und Verwertbarkeit.
  • Die vom Netz geförderte Multimedialität (als nicht zwingend notwendiges, aber mehr als kompatibles feature) entspricht den Entwicklungstendenzen der Geschichtswissenschaft der letzten 25 Jahre (cultural studies, Film- und Bildwissenschaft etc.). Insofern ist das neue Medium hier also nicht Ursache der Veränderung – es erweitert aber sehr wohl den Blick auf multimediale Quellen und fördert die Entwicklung in Richtung einer interdisziplinären Kulturwissenschaft.
  • Auch das E-Learning (mit den Effekten: Förderung der Kommunikation, Eigenverantwortung, schnelles Aufeinander-Reagieren, Freude an der Wissenschaftsproduktion, breiterer Zugang) bildet sich erst langsam heraus und firmiert damit unter Chancen.
  • Die modulare, damit team-kompatible Struktur des Internets bzw. der internetspezifischen Texte führt zu einer Forschungslandschaft, in der die ‚großen EinzelwissenschafterInnen’ an Bedeutung verlieren – dies resultiert in einem Demokratisierungsprozess, in dessen Verlauf dynamischer und korporativer gearbeitet wird. (Stichwort Content Management Systeme).
Visionen: Trotz seines Charakters als fundamentale Medienrevolution entwickelt sich das Netz als kulturelles Phänomen verhältnismäßig langsam. Wird Kultur als Code begriffen, stellt es einen Subcode dar, „der bestimmte Transformationen codiert“. Seine Attribute Hybridität, Fluität und Hypertextualität entsprechen den Gesellschaftsformen urbaner Zentren (etwa der Auflösung hergebrachter Wertvorstellungen), die jedoch auch die Peripherie verändern. Optimistisch betrachtet treten an Stelle alter essentialistischer Modelle, neuere, offenere Konstellationen, die nicht mit Amoralität oder – poetischer – Verlorenheit gleichzusetzen sind.
Die Gesellschaft verändert sich, und damit auch die Methoden der Geschichtswissenschaft und unser Blick auf die Vergangenheit.

Fazit: Viele der angesprochenen Fragestellungen wurden in der einen oder anderen Weise im Laufe der LV bereits tangiert und kommentiert (wie offen ist Hypertext wirklich? Wie demokratisch ist der Zugang zur Ressource Internet wirklich?). Als wichtig empfand ich den Versuch einer gesellschaftlichen Rückbindung des Phänomens, den v.a. der letzte Teil des Textes unternimmt. (Wer sind die RezipientInnen? Auf welche Weise werden Fakten präsentiert? Wer könnte Interesse an einem unkritischen Kult des Faktischen haben? Ausdruck welcher Transformationsprozesse ist das Netz? ...) Auch die Auseinandersetzung mit der (wenn von mir richtig verstandenen) dialektischen Verbindung zwischen den verschiedenen Medien, bzw. „Internet“ und „Gesellschaft“ ist eine wichtige Erweiterung des bisher Gelesenen.
Vielleicht nur sprachlich problematisch erscheint mir die für die Zunkunft prognostizierte Modifikation der Forschungsthemen, ausgerichtet an „Relevanz“ und „Anwendbarkeit“. Zu wenig definiert bleiben beide Worte – wer bestimmt gesellschaftliche Relevanz? Jene, die am internetbasierten Prozess der Wissensbildung teilhaben können? Der BesucherInnencounter der Website? Die Provider der Sponsor-Banner?
Was ist anwendbare Forschung? Im positiven Sinne, Forschung, die mit jetzigen gesellschaftlichen Bedingungen in Zusammenhang steht? Ergebnisse, die die Handlungsperspektive gewisser Gruppen erweitern? Welcher Gruppen?
Agieren im Internet ist eben keine herrschaftsfreie Aktion – das Netz mag ein fließendes, sehr reaktionsfreudiges Medium sein, wenn jedoch nicht jeder mit den selben Voraussetzungen an ihm teilhaben kann, wird sich auch kein vollends offener Prozess entwickeln.
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