Mittwoch, 18. April 2007

:: kunstwerk der woche ::

Das Kunstwerk der Woche – für all jene, die in den verräterischen Tiefen ihres Herzens den bildungsbürgerlichen Drang verspüren, über die Himmelssymbolik gotischer Kathedralen zu kontemplieren, jedoch klug genug sind, ihre eingeschränkte Lesezeit sinnvolleren Dingen zu widmen.
5 Minuten für die Kunst.

Heute: Monet, Le pont de chemin de fer, Argenteuil, 1873, (priv.)
… eine Zusammenfassung aus einer meiner liebsten Vorlesungen – denn kein Studium ist komplett ohne den gelegentlichen Exkurs über anthropomorphe Heuhaufen und die sinnliche Symbolik des Alltags im allgemeinen.

Nach einer kurzen, heftigen und gut verdrängten Monet-Phase mit neun hat sich meine Beziehung zu den Impressionisten rapide bis hin zu blankem Hass verschlechtert und sich nun in einem Stadium emotionsloser Indifferenz eingependelt. Schuld trägt wie immer die – im Falle der Impressionisten mehr als unglückliche – Rezeptionsgeschichte.
behold:

070417_monetseerosenC. Monet, Nympéas, 1914 (National Museum of Western Art, Tokyo)






Ein Wort: Zahnarztpraxis.
bzw.: Das Ding über Tante Mimis Sitzecke.

Nicht mehr viel übrig, vom impressionistischen Kunstwerk als perfekter Ausdruck einer bürgerlichen, urbanen, naturwissenschaftlichen Gesellschaft.
Da können Monets Seerosenbilder tausendmal einen Meilenstein Richtung Abstraktion darstellen, die Art ihrer gesellschaftlichen Inszenierung hinterlässt einen süsslichen Geschmack auf der Zungenspitze. Und irgendein Teil davon muss verdammt noch mal auch im Bild angelegt sein. Ein klitzekleiner.

Zum Glück gibt's aber nicht nur Kathedralen, Heuhaufen und Blumenwiesen, sondern auch:

070403_monet1873C. Monet, Le pont de chemin de fer, Argenteuil, 1873




Ein gefinkeltes Bild, das zwischen Technikverherrlichung und dem Versuch oszilliert, die Natur mit dem eindringenden Anderen zu versöhnen. Die prosaische Brücke führt hart, linear und mit schneidender Schärfe durchs Bild – gleichzeitig antwortet jedoch das hell/dunkle Figurenpaar auf die beiden (einmal schattigen und einmal von der Sonne beschienenen) Pfeiler, die beiden idyllischen, noch einer anderen Zeit zugehörigen, Boote auf die beiden Züge, der Dampf der Lokomotive auf die Wolken.
Die Einheit von Lebendigem und den Eingriffen des Industriezeitalters scheint möglich. Sehr sympathisch, Monsieur Monet.
Die Eisenbahnbrücke von Argeneuil war ein Skandal, aufgebrachte BürgerInnen formierten sich gegen das ornamentlose Ungetüm und es ist spannend, dass Monets Sympathien eindeutig bei der Stahlkonstruktion liegen, und das wohl nicht nur, weil sie so gutes Rohmaterial für seine Komposition liefert.

Le pont du chemin de fer, Argenteuil ist kein kompromissloses Bild, aber seine kompromisslosen Komponenten werden deutlicher, wenn sie mit einem im selben Jahr entstandenen Bild von Pissarro verglichen werden.

070403_pissarro1873C. Pissarro, Le pont du chemin de fer, Pontoise, 1873 (priv.)




Gleiches Thema, anderer Ort und voller ländlicher Idylle: Der Versuch die neue Brücke gerade nicht zum Bildthema zu machen, sie ins Pastorale einzubinden, ihre Fremdartigkeit (motivisch wie farblich) zu minimieren.

Die vielen Neubauten waren durch den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 bedingt, der eine weitere Ebene öffnet: Monets Brückenbilder sind auch als symptomatischer Ausdruck eines nationalen Erstarkens lesbar, als Huldigung an die Grande Nation, die sich der modernsten Errungenschaften bedient, um ihre geopolitische Vormachtstellung auszubauen.
Sie sind die Bildwerdung eines Aufbauoptimismus, der sich letztendlich nur auf Kosten des Pittoresken durchsetzten kann.

Fazit: Monet als (potentiell chauvinistischer) Agent der Technikverherrlichung mit Hang zur Versöhnung ist um einiges ertragbarer, als Monet, der Seerosenfetischist.
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